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Ob es der Wunsch nach individueller Unabhängigkeit oder der Frust über die tägliche Arbeitswelt ist – viele träumen von der Rente mit 30. Der Frugalismus, ein Konzept aus den USA, verspricht, dass ein minimalistischer Lebensstil und grundlegendes Finanzwissen ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei geht es darum, radikal zu sparen und klug zu investieren, um frühzeitig finanziell unabhängig zu sein. Doch die ersten Schritte sind oft schwieriger, als sie scheinen.
Die Anhänger des Frugalismus übersehen häufig, dass dieses Konzept an bestimmte Voraussetzungen wie ein hohes Einkommen geknüpft ist. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Verzicht auf Konsum und Komfort langfristig durchzuhalten ist. Ist die Rente mit 30 also wirklich ein erreichbares Ziel oder eine Illusion?
Der Grundgedanken des Frugalismus dürfte fast jedem ein Begriff sein – das Wort selbst jedoch vermutlich nicht. Das Konzept stammt ursprünglich aus den USA und stützt sich auf die These, dass man finanziell “ausgesorgt” hat, sobald man das 25-fache des eigenen Jahresbedarfs anspart und dieses Geld für sich arbeiten lässt.
Ziel der sogenannten Frugalisten ist es deshalb, möglichst früh genügend Geld anzusparen und so aus dem klassischen Arbeitsleben auszuscheiden zu können. Dabei geht es den meisten nicht um das typische Bild des Faulenzer-Lebens auf der eigenen Privatinsel. Viel mehr steht der Wunsch im Vordergrund, sowohl in finanzieller als auch beruflicher Hinsicht unabhängig zu sein. Viele Frugalisten arbeiten auch, nachdem sie ihr ursprüngliches Ziel erreicht haben, weiter – nehmen jedoch nur noch Jobs oder Aufträge an, bei denen sie davon überzeugt sind, dass sie davon zu 100 % erfüllt sein werden. In dieser Hinsicht hat der Frugalismus also durchaus Ähnlichkeit zum Minimalismus. Es geht in gewisser Weise um Selbsterfüllung – diese soll jedoch ganz anders erreicht werden als beim Minimalismus. Dieser ist in den meisten Fällen darauf gestützt, alles Überflüssige aus dem eigenen Leben zu verbannen und sich so bewusst auf das Wesentliche konzentrieren zu können.
Konsum und materielle Güter werden auch bei den Frugalisten zurückgestellt, dabei steht jedoch das übergeordnete Ziel im Vordergrund, ca. 70 – 80 % des monatlichen Einkommens zu sparen. Das bedeutet natürlich auch, dass unterschiedlichste Aspekte des Alltags zurückgeschraubt werden müssen und auch jede größere Anschaffung zum Luxus wird. Der Grundgedanke lautet hierbei oft, dass der Lebensstil, der während der Ausbildung oder dem Studium völlig in Ordnung war, auch im Erwachsenenleben machbar sein muss. Die Alltagskosten niedrig zu halten, kann beispielsweise bedeuten, in einer kleineren Wohnung zu leben, auf Urlaub zu verzichten und sich quasi keine größeren Wünsche zu erfüllen. Shopping, Kino– und Kulturveranstaltungen oder Restaurantbesuche werden zur absoluten Seltenheit und im Extremfall bedeutet die Lebensweise für die Anhänger auch, bewusst darauf zu verzichten, Kinder zu bekommen.
In einem Großteil der Fälle reicht das Sparen allein natürlich nicht aus, um sich frühzeitig das restliche Leben zu finanzieren. Den zweiten wichtigen Aspekt des Frugalismus machen deshalb Investitionen aus. Vom monatlich angesparten Geld wir so viel wie möglich in ein möglichst breit gestreutes Portfolio aus Aktien, ETFs, Fonds oder Immobilien investiert, um frühzeitig hohe Renditen zu erzielen. Damit steht der Frugalismus in vielerlei Hinsicht dem Alltag vieler Menschen in Deutschland gegenüber.
Statistiken belegen seit Jahren, dass der Faktor Geld für viele zu einem größeren Problem wird und immer mehr Familien darauf angewiesen sind, einen möglichst günstigen Kredit aufzunehmen, um gut durch den Monat zu kommen. Die Folgen der Corona-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 gingen für viele Menschen mit Jobverlusten und Geschäftsschließungen einher. Geld zu sparen wird dadurch für einen breiten Teil der Gesellschaft in nächster Zeit schlichtweg nicht möglich sein.
Spätestens hier kommt auch einer der Hauptkritikpunkte zum Tragen, den sich der Frugalismus und seine Anhänger immer wieder gefallen lassen müssen. Es handelt sich in seiner Grundform um ein elitäres Konzept. Frugalisten stehen zumeist hinter der Aussage, dass die Einschränkungen durch das radikale Sparen für sie keinen Verzicht darstellen. Das ist in vielen Fällen aber die Perspektive gut ausgebildeter Menschen, die ohnehin ein hohes Einkommen zur Verfügung haben. Wer den Frugalismus so praktizieren will, wie er in den USA vorgelebt wird, braucht deshalb gewisse Privilegien.
Neben einem guten bis sehr gut bezahlten Job gehören dazu beispielsweise auch der Luxus, neben der täglichen Arbeit überhaupt die Zeit zu haben, sich vollumfänglich in Finanz-Themen einzulesen und das nötige Fachwissen aufzubauen. Wer ohnehin nicht allzu viel Geld zur Verfügung hat, wird auch nur schwer mit gutem Gewissen einen ausreichenden Grundstock sammeln können, um erste Investitions-Mechanismen überhaupt austesten zu können. Da diese jedoch ein elementarer Teil des gesamten Frugalismus-Ansatzes sind, liegt hier oft schon die Einstiegshürde, die niemals überwunden werden kann.
Das Konzept des Frugalismus klingt verlockend, doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich Schwächen. Die Idee, durch radikales Sparen und Investieren frühzeitig finanziell unabhängig zu werden, setzt ein hohes Einkommen und stabile finanzielle Rahmenbedingungen voraus. Nur wer bereits viel verdient, kann die empfohlenen 70–80 % seines Einkommens sparen. Für Menschen mit durchschnittlichen Gehältern oder unregelmäßigen Einnahmen bleibt dieses Ziel kaum erreichbar.
Zudem birgt das Konzept Risiken. Die Abhängigkeit von Investitionen bedeutet, dass Frugalisten auf stabile Märkte angewiesen sind. Ein Börsencrash oder wirtschaftliche Krisen können die gesamte Strategie gefährden. Weiterhin stellt sich die Frage, ob der extreme Verzicht langfristig realistisch ist. Kann man dauerhaft auf grundlegende Annehmlichkeiten und soziale Aktivitäten verzichten, ohne an Lebensqualität zu verlieren? Frugalismus funktioniert vielleicht für einige, aber sicher nicht für alle.
Dass der Frugalismus auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet, ist wenig überraschend. Auf Blogs und in Foren kann man hunderte angeblicher Erfolgsgeschichten lesen und in Form von Youtube-Videos gibt es zahlreiche Schritt-für-Schtritt-Anleitungen, die zeigen sollen, wie man das eigene Leben an verschiedenen Punkten so anpasst, dass ein “frugalistischer Lifestyle” möglich wird.
Eine Wunschvorstellung wie “Rente mit 40” oder sogar „Rente mit 30“ wird also plötzlich realistisch, weil die Prinzipien, die dahinter stecken, für jedermann greifbar gemacht werden. Das Problem: Die im Frugalismus angepriesene Bescheidenheit funktioniert am besten, wenn man nicht zu ihr gezwungen ist. Die Anhänger tendieren aufgrund der eigenen Überzeugung häufig vorschnell dazu, auch andere Menschen für ihre Lebensweise begeistern zu wollen. Dass übermotivierte Investitionen aber ebenso eine große Gefahr darstellen können, gerät dabei aber oft in Vergessenheit.